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Ian D. Fowler

Uhrenrestaurator u. Uhrenhistoriker

Rezensionen / Buchbesprechungen


The British Museum Watches,
David Thompson, Fotos von Saul Peckham,
The British Museum Press, London 2008,
ISBN 978-0-7141-5055-0
Format 24,5 x 24,5 cm, kartoniert mit Umschlag,
175 Seiten, 256 Farbabbildungen,
GB Pfund 25,-

David Thomspon ist Kurator der Uhren im Britischen Museum in London und durch sein Engagement und großzügiger Hilfe bei Forschungsfragen manchen Sammlern und Historikern auch hier in Deutschland bekannt.

Obwohl das Britische Museum ausdrücklich kein Uhrenmuseum ist, beherbergt es die wohl weltgrößte öffentliche Uhrensammlung (c. 1000 Großuhren und mehr als 4500 Kleinuhren).
David Thompson hat für das Buch 77 Kleinuhren ausgewählt. Sie sind chronologisch angeordnet und fangen mit einer süddeutschen dosenförmigen Halsuhr von c. 1560 an und enden mit einer funkgesteuerten Armbanduhr von Casio aus dem Jahr 2007.
35 Spindeltaschenuhren, wovon 18 aus der Zeit vor der Unruhfeder, werden vorgestellt. David Thompson ist anerkannter Experte für frühe Kleinuhren und arbeitet momentan auch an Band II der Bestandsaufnahme der gesamten Taschenuhren des Museums – Taschenuhren mit Schnecke ohne Unruhfeder. Die Spindeltaschenuhr dominierte den Uhrenmarkt von den Anfängen im frühen 16. Jahrhundert bis zum ersten Viertel des 19. Jahrhundert und diese Überzahl von 35 Exemplaren ist damit durchaus gerechtfertigt, zumal diese Art Uhren in den letzten Jahrzehnten von den Sammlern und dem Handel unterbewertet und in der Uhrenliteratur vernachlässigt wurden. 11 Uhren mit Zylinderhemmung, 3 mit Duplexhemmung, 4 mit Chronometerhemmung, 18 mit Ankerhemmung, und 6 elektrischen Armbanduhren werden auch besprochen. Wie zu erwarten dominieren die englischen Uhren mit 36 Beispielen, danach kommen 14 Schweizer, 13 französische, 7 frühe deutsche und 7 Uhren aus anderen Ländern.

Alle Abbildungen sind in Farbe und jeder Uhr sind mindestens 2 oder maximal 6 Fotos mit Text auf 2 Seiten gewidmet. Indem die meisten Aufnahmen freigestellt worden sind, bleibt mehr Platz für Unterschriften, Text und mehr Detailaufnahmen (z.B. Werksansichten). Die Qualität der Abbildungen und Detailaufnahmen von besprochenen Eigenarten ist ausgezeichnet. Der Fotograf, Saul Peckham, ist am Britischen Museum angestellt. Seine Arbeit soll für zukünftige, vergleichbare Veröffentlichungen maßgebend sein.

Das Buch richtet sich an interessierte Laien und informierte Uhrenliebhaber gleichermaßen. Es handelt sich hier zwar nicht um eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme aber David Thompson lässt keine Information zu der jeweiligen besprochenen Uhr aus. Dimensionen (meistens äußerster Durchmesser), Provenienz (u.a. Ilbert Collection, Fellows Vermächtnis oder Octavius Morgan Vermächtnis) und Inventarnummer werden angegeben.  Wo möglich bemüht er sich die Gehäusemarken zu deuten und viele „Hall Marks“ werden abgebildet; im Falle von englischen Gehäusen bezieht er sich auf die Arbeiten von Priestley. Hinweise und Forschungsergebnisse von anderen zu den jeweiligen Uhren erwähnt er auch mit Namen.
Die Auswahl umfasst alle Qualitäten einschließlich der einfachen Farmer’s Verge (Bauerntaschenuhr) mit einem bunten Emailzifferblatt, billiger Stiftankertaschenuhren von Ingersoll, oder Swatch Armbanduhren, aber einige bekannte, bedeutende Highlights im Besitz des Museums kommen unter anderen vor: -
eine Monstranztaschenuhr mit Stackfreed und Viertelselbstschlag um 1620 von Niklaus Rugendas,
eine oft abgebildete, goldene Emailuhr mit 92 eingesetzten Diamanten von dem Hugenotten David Bouquet, London um 1650,
eine goldene Uhr von Blaise Foucher aus Blois um 1650 mit exquisiten Darstellungen der Geschichte von Tancred und Clorinda in polychromer Emaille,
2 der 43 im Besitz des Museums von Tompion signierten Taschenuhren, davon eine mit Viertelrepetition um 1692,
eine Kutschenuhr von Spiegel, Friedberg mit einer seiner anagrammatischen Signaturen – Jo: Legeips London,
eine Zylindertaschenuhr mit Viertelselbstschlag und Minutenrepetition von Thomas Mudge, vermutlich an den König von Spanien geliefert,
eine goldene Zylindertaschenuhr mit Monatswerk, Äquation, Zentralsekundenzeiger, Achtelrepetition à toc und Stopphebel von Ferdinand Berthoud, Paris Nr. 333 um 1760,
der berühmte Chronometer mit Basiswerk von John Arnold um 1774 umgearbeitet mit einer Chronometerhemmung und Tourbillon (Nr.1!) von Abraham Louis Breguet um 1808 und in einem Silbergehäuse als Geschenk mit Widmung für John Roger Arnold als Denkmal an seinen Vater,
sowie 2 weitere Uhren von John Arnold, u.a. eine Taschenchronometer mit Viertelrepetition, der als Gegenstand einer Auseinsetzung von Thomas Earnshaw zitiert wird,
ein goldenes Taschenchronometer Nr. 506 von Thomas Earnshaw mit „Zuckerzange“ Temperaturkompensation um 1800 aus dem Besitz des Barons von Arden,
2 der 50 echten Breguet Uhren der Sammlung; eine goldene Souscriptionuhr mit Steinzylinder um 1798, und eine goldene Ankeruhr (Breguet & Fils) um 1844 für die Tochter von Zar Nikolas I, später Königin von Württemberg,
ein englisches Rohwerk (ébauche) für eine Ankeruhr um 1860 von Joseph Preston, Prescot,
eine goldene, mit 8 Wappen reich emaillierte Savonnette um 1878 von Sir John Bennett, Uhrmacher zur königlichen Sternwarte, mit Viertelselbstschlag und Minutenrepetition, (es handelt sich um ein bezogenes Schweizer Werk),
eine goldene Taschenuhr mit Doppelradhemmung von George Daniels aus dem Jahr 1976, die Daniels Freund und Mentor Cecil Clutton dem Museum vermachte.
Im vierseitigen Vorwort stellt David Thompson die Entwicklungsgeschichte der Taschenuhr für den interessierten Laien dar. Er betont von Anfang an die Arbeitsteilung bei der Herstellung einer Taschenuhr, was zwar dem Uhrensammler längst bekannt sein soll, aber was für den Laien erst erklärt werden muss. Das abgebildet Rohwerk von Preston exemplifiziert den Prozess. Schon im 17. Jh. gab es einige wenige Zentren, wo Taschenuhren produziert wurden, unabhängig davon wie die Uhr vom Lieferanten signiert wurde. (Es ärgert den Rezensenten nach  wie vor, wie die mangelhaften Beschreibungen der Museen und Kataloge dem interessierten aber unwissenden Betrachter im Glauben lässt, der signierende Uhrmacher habe die ganze Uhr in eigener Arbeit hergestellt! Eine solche Uhr wäre wirtschaftlich nicht vertretbar.)
Ebenfalls führt die Beschreibung mancher Uhr zu fachlichen Klarstellungen. Vorgestellt wird beispielsweise eine einfache Spindeltaschenuhr mit getriebenem Übergehäuse um 1760 mit der Signatur John Wilter London No. 5719. Es gab keinen Uhrmacher mit diesem Namen (vgl. die fiktive Signatur Tarts). Solche Uhren wurden in England und Europa meistens mit Londoner Signaturen verkauft und hatten Spindelbrücken statt englischen Kloben sowie bogenförmigen Minuterien. Man nannte sie früher „Dutch Forgeries“, weil diese Merkmale an holländischen Uhren vorkommen. In der Tat handelt es sich um Schweizer Werke, die sogar im Auftrag von englischen Uhrmachern geliefert wurden, da sie selber die wachsende Nachfrage an Uhren nicht nachkommen konnten. D.h. solche Werke tragen auch die Signaturen lebender  London Uhrmacher. Die Qualität dieser Werke variiert beträchtlich, sie entspricht selten der Qualität authentischer, zeitgenössicher London Uhren. David Thompson schätzt, dass hundert Tausende solche Werke in der zweiten Hälfte des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus der Schweiz kamen.
Eine Spindeltaschenuhr in einem dreifachen Gehäuse signiert Josiah Bartholomew London von 1815 (vgl. die typischen Uhren von Prior und Markwick Markham) gibt Anlass den Mythos der sogenannten türkischen Zahlen aufzuklären. Sie sind eine eklektische westliche Vorstellung von arabischen oder türkischen Zahlen, die so nie existierten.
Eindeutige Veränderungen an den Uhren, die besonders bei den frühen Beispielen unweigerlich vorkommen, werden erörtert, was in vielen Katalogen immer noch stillschweigend übergangen wird.
Zur Erklärung der Fachbegriffe findet man im Anhang ein Glossar, eine Bibliographie und ein Inhaltsverzeichnis.

Obwohl einige der historischen Uhren in diesem Buch nie auf den Markt kommen würden, wäre es für einen ambitionierten Sammler mit entsprechendem Startkapital heute noch möglich, eine vergleichbare Sammlung mit etwas Geduld aufzubauen, wenn er die Entwicklung der Taschenuhr anschaulich machen wollte. (Man denke an die Auflösung des Time Museums in Rockford oder die reichen Angebote von Auktionshäusern wie Dr. Crott.) Die europäischen Präzisionstaschenuhren der 2. Hälfte des 19. Jh. und Anfang des 20. Jh. (Schweiz oder Glashütte u.s.w.) sind in David Thompsons Auswahl nicht vertreten, obwohl sie anderswo heutzutage gut genug dokumentiert sind.  Eine Auswahl aus 4500 Objekten zu treffen, ist für einen Uhrenliebhaber eine ungeheure Aufgabe, und, wie David Thompson beteuert, gibt es noch genug beeindruckendes Material für mehrere solche Bücher. Ihm muss für seine Auswahl und seine wissenschaftliche Akribie gratuliert werden. Das Buch ist ein Muss für den ernsthaften Taschenuhrsammler. Die Bilder bieten mehr Einsicht in die Feinheiten der Uhren, als ihre Präsentation in einer Ausstellungsvitrine im Museum ermöglicht.
Erwähnt wurde die vorgesehene wissenschaftliche Bestandsaufnahme der Sammlung, von der bis jetzt nur 2 Bände veröffentlicht wurden: -
Catalogue of the Watches in the British Museum
I The Stackfreed, Hugh Tait and P.G.Coole, überarbeitet von David Thompson, 1987, ISBN 0-7141-0550-3,
VI Pocket Chronometers, Marine Chronometers and Other Portable Precision Timepieces, Anthony G. Randall & Richard Good, 1990, ISBN 0-7147-0551-1
Band II.
Vorgesehen ist von David Thompson ein Band über die frühen Kleinuhren mit Schnecke vor der Einführung der Spiralfeder. Leider kümmern sich die wenigsten Museen um einen öffentlich zugänglichen Bestandskatalog, damit das interessierte Publikum überhaupt erfahren darf, was es für Schätze in ihren eigenen Museen gibt. 
Hoffentlich werden die anderen Bänder auch eventuell fertig.
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